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Assi-Prüfung vs. Wahlkampf

Die Nachwehen des Sonntag Abends sind immer noch zu spüren, selbst hier im sonnigen Madrid bei konstanten 30 Grad im Schatten. Jetzt ist es endgültig raus, es gibt Neuwahlen, wahrscheinlich am 18. September. Ein ganz schlechter Zeitpunkt. Die spannende Phase der Kandidatenkür und Programmdebatten hat schon begonnen und ich bin in Spanien. Die heiße Phase des Wahlkampfs danach und ich muss für die Assi-Prüfung lernen. Vier Tage nach der Assi-Prüfung dann die Bundestagswahl. Wenn das mal keine Woche mit ausschließlich bösen Nachrichten wird.

Na ja, so weit ich das hier über Internet und Zeitungen mitbekommen habe, überschlagen sich die Kommentatoren allerorten mit Analysen, Meinungen und Prophezeiungen, wie es eben immer so ist, nach einem „politischen Erdbeben“. Fast alle sind sich einig, Schröder habe einen intelligenten Schachzug gemacht, Schröder sei in die Offensive gegangen, habe seine letzte Option zum Handeln ausgeschöpft. Doch um welchen Preis? Welches Ziel verfolgen Schröder und Müntefering? Wollen sie die SPD einen, die Linken und Rechten in der Partei ein letztes Mal auf Linie bringen? So fern sie dieses wollen, kann diese Einigkeit wohl nur von langer Dauer sein, wenn das Unmögliche eintritt und die Wahlen im Herbst gewonnen werden. Danach würde sonst das große Schlachten beginnen. Die Linke würde die Niederlage auf die Agenda 2010 schieben, die Rechte auf die Zerstrittenheit in der Partei. Weder Müntefering noch Schröder würde dieses Armageddon politisch überleben. Wer folgt danach? Da die Linke um Ottmar Schreiner wohl nie die Mehrheit in der Partei erhalten werden, Lafontaine heute endgültig ausgetreten ist, und die aktuelle Führungsriege aus meiner Sicht beinahe komplett Format und Klasse verloren hat, wäre mein Geheimtipp Peter Struck als neuer erster Mann in der SPD. Er hat als einziger SPDler in der Regierung an Ansehen gewonnen und ist weitgehend unbelastet von der Agenda.

Ja, ich bin hier extrem pessimistisch, aus meiner Sicht hätte die Schröder-Entscheidung nur etwas gebracht, wenn es gleichzeitig einen personellen Neuanfang im Kabinett und evtl. eine politische Korrektur gegeben hätte. Mit den gleichen abgewirtschafteten Gesichtern, ich sage nur Eichel, Stolpe und Clement ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen.

Auch bei den Grünen sieht's durchwachsen aus. Unser Flaggschiff Fischer will es nochmal wissen, ohne Kurskorrektur, ohne neue Gesichter, aktuell noch ohne deutlicheres Profil. Wobei ich mir bei den Grünen nicht mal so sicher bin, dass sie so sehr unter der Neuwahl mit Visa-Affäre zu leiden haben werden, wir werden sehen, hier sehe ich noch Licht am Ende des Tunnels.
Nun ja, so sieht es aus in Deutschland. Dem Kanzler geht es um einen Abgang mit Pauken und Trompeten und der Opposition um die absolute Macht im Land. Die Probleme des Landes werden diese Verhaltensweisen weder heute, noch im Herbst noch in zwei Jahren lösen. Das Problem ist grundsätzlicher Natur. In Deutschland wird von allen Seiten lieber blockiert, protestiert und inszeniert, als dass man was gegen die Probleme unternehmen würde.

So sehen es beispielsweise auch die Kommentatoren der spanischen Tageszeitung El País, die der Situation in Deutschland heute einen Artikel auf Seite 1, sowie die kompletten Seiten 2-4 gewidmet haben. Neben der üblichen Berichterstattung wird hier unser System von Bundestag und Bundesrat ausführlichst erklärt, sowie die wesentlichen Punkte Agenda 2010 aufgelistet. Endlich weiß ich, was „Ich AG“ auf Spanisch heißt -> „Yo S.A.“ LOL Auch für die Übersetzung des Arbeitslosengeldes II -> „subsidio de desempleo II“ gibt's von mir ein fettes thumbs up

Was aber absolut ins Schwarze trifft ist der Kommentar eines (anscheinend deutschsprachigen -> kein Original-Spanier heißt Hermann Tertsch) Journalisten, der kurz über das Problem der Wiedervereinigung und die unterschiedlichen Mentalitäten in Deutschland eingeht, dann aber ans Eingemachte geht. Deutschland habe aktuell sicher die mittelmäßigsten Politiker seit der Gründung der Bundesrepublik 1949. Meine volle Zustimmung. Nach Schröders Aktion vom Sonntag halte ich nur noch Fischer für einen Mann vom Schlage eines Adenauer, Brandt, Schmidt oder Genscher. Nachwuchs kommt keiner, das Grinsekatze-Babyface Westerwelle ist einfach nur lachhaft, die farblose Physikerin, die sich anschickt, die erste Bundeskanzlerin zu werden, weiß vielleicht, wie man es in einer Partei möglichst allen recht machen kann, ein Land zu führen traue ich ihr aber nicht zu. Tertsch führt weiter aus: Die brilliantesten Köpfe fliehen und suchen ihr Heil jenseits der Grenzen, während Deutschland zu einem Land von Millionären, einer ärmer werdenden Mittelschicht, einer wachsenden Unterschicht und einer beträchtlichen Anzahl Armer, speziell im Osten wird. Die Gründe, die er hierfür anführt, teile ich nur zum Teil. Seiner Ansicht nach war der größte Teil der Intelligenz während des 3. Reichs ausgelöscht oder vertrieben worden, eben vornehmlich Juden. Damit mag er Recht haben, er hat nur das beispiellose Wirtschaftswunder danach absolut vergessen. Weiter geht's mit dem berühmten deutschen Pessimismus und Deutschlands Rolle in der EU, nichts wirklich Neues. Das Fazit dafür aber als Schluss dieses langen Textes unkommentiert: Offensichtlich sei es, dass sich das Problem Deutschlands nicht mit dem Wechsel von Personen oder Parteien an der Spitze lösen lasse. Das Problem wurzele im Seelenzustand des Bürgertums, in diesem historischen Fluch, in der deutschen Manie zum ewigen Kreislauf.

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