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Im toten Winkel der Republik

     

    Anlässlich der letzten Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern nannte der SPIEGEL die Ecke, in der ich momentan unterwegs bin, den "toten Winkel der Republik". Hier feierte die rechtsextreme NPD ihre Wahlerfolge - großflächig mit Ergebnissen im zweistelligen Prozentbereich. Groß scheint die Perspektivlosigkeit in den vielen kleinen Dörfern hier in der Umgebung, die wohl zu großen Teilen für diesen großen Zustrom zu den Nazis verantwortlich ist. Traurig dabei ist wirklich, dass ich die Ortsnamen, die ich heute auf meiner Tour von den Schildern gelesen habe, größtenteils wirklich nur von der Wahlnachberichterstattung von vor zwei Jahren kenne. Diese Negativschlagzeilen dürften bei einigen auch dazu führen, als Touristen wie Investoren genau diese Ecke zu meiden. Und gerade im Tourismus könnte man neben den bereits erschlossenen Gebieten wie Rügen und Usedom sicherlich noch einiges machen. Sind wirklich ein paar schöne Ecken hier dabei, auch wenn ich vieles nur vom Vorbeifahren gesichtet habe - hatte eben meine Ziele und die hießen nicht Nazi-Hochburgen besichtigen.

    Nachdem ich gestern morgen Berlin - genauer der SAP-Geschäftsstelle - noch einen kurzen Besuch abgestattet habe, ging es auf der brandneuen Ostseeautobahn A 20 in Richtung Stralsund. Hier konnte ich froh sein, dass mir alle paar Kilometer ein Auto begegnet ist - das zur Eröffnung prognostizierte "geringe Verkehrsaufkommen" kann ich also bestätigen, auch wenn ich nicht wirklich zur Rush Hour unterwegs war. Nun, in der Jugendherberge im Stralsunder Vorort Devin angekommen, wurde ich wieder nett begrüßt und mir wieder eröffnet, dass ich der einzige Gast sei. Gut, so langsam habe ich mich damit abgefunden, dass außer mir wohl kaum jemand mehr Urlaub hat und die Leute bei den Temperaturen lieber zu Hause bleiben.

    Kurz vor Einbruch der Dunkelheit wollte ich dann noch Kap Arkona auf Rügen erreichen, was sich schwieriger erwiesen hat, als ein flüchtiger Blick auf die Karten erahnen ließ. Zunächst hat mich mein sonst zuverlässiges Navi über Straßen geschickt, die schon zu Kaisers Zeiten renovierungsbedürftig gewesen sein müssen. Dann habe ich eine Passage von vielleicht 300 Metern über Wasser als Brücke interpretiert - hier geht's aber nur mit der Wittower Fähre auf die andere Seite. Gut, habe dann in Putgarten wohl eine der letzten Bahnen zum Kap noch bekommen - war auch hier der Einzige im gesamten Gefährt... Oben angekommen wurde ich dann aber für meine Mühen entschädigt. Die langsam einsetzende Dämmerung erzeugte mit den Leuchttürmen im Vordergrund phantastische Bilder. Nach einem kurzen Spaziergang - auch am Sandstrand unten, bin ich dann wieder zu Fuß die grob 2 km zum Parkplatz zurückgelaufen - die Bahnen fuhren ja nicht mehr. Zurück in der Jugendherberge hat dann die Speicherkarte teilweise wieder rebelliert - ein guter Teil der Bilder war nicht mehr vorhanden, die Dateien wurden in kryptischen Zeichen angezeigt. Zum Glück war die Reparaturprozedur erfolgreich - nur der Abend war damit komplett gelaufen.

    Heute morgen erfuhr ich aus dem Radio, dass der Regen in der Nacht wirklich große Teile Mecklenburg-Vorpommerns, besonders die Inseln Rügen und Usedom in Eispisten verwandelt hatte. Plusgrade in der Luft heißen eben nicht, dass der Boden auch schon komplett aufgetaut ist. So ging es nach dem Frühstück eben äußerst vorsichtig in Richtung Peenemünde, das ja auf der Insel Usedom liegt. Dort gibt es das Historisch-Technische Dokumentationszentrum zu besichtigen.

    Im Dritten Reich entwickelten Ingenieure unter Wernher von Braun das erste vom Menschen erbaute Gerät, das in den Weltraum vordringen konnte. Es handelt sich hierbei um die Rakete namens Aggregat 4, besser bekannt als V2, oder Vergeltungswaffe 2. Das Museum dokumentiert sehr anschaulich die Geschichte dieser Waffe. Aufgeteilt in zwei Stockwerken wird im ehemaligen Kraftwerk des Geländes alles von den Anfängen des Raketenbaus über die ersten Tests bis zur unmenschlichen Massenproduktion, bei der Unzähliige Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge ihr Leben ließen, dargestellt. Ebenso wurde selbstverständlich die todbringende Wirkung der Rakete ohne Vorwarnung beleuchtet - ein neues Zeitalter der Kriegsführung hatte begonnen - auch ohne entscheidende Auswirkungen auf den Ausgang des 2. Weltkriegs.

    Im 2. Teil der Ausstellung wurde dann auf die weitere Geschichte des Raketenbaus und seine zivilen und militärischen Folgen näher eingegangen. Am Anfang standen wiederum auch hier militärische Anwendungen - es ging darum, Interkontinentalraketen für Atomsprengköpfe zu bauen. Erst danach kamen der Transport von Menschen in den Weltraum und wissenschaftliche Anwendungen. Insgesamt eine außerst interessante Ausstellung, welche die zwei Seiten des wissenschaftlichen Fortschritts klar benennt. Meistens war der Motor hierfür das Militär und nicht etwa altruistische Wissenschaftler.

    Am Nachmittag führte mich mein Weg wieder zurück in Richtung Stralsund. Ich wollte unbedingt noch das im letzten Jahr neu eröffnete Ozeaneum besuchen. Der zunächst verhältnismäßig teure Eintritt von 14 Euro rechtfertigt sich aber immer mehr, je weiter man in das Innere der Ausstellung hineingeht. Nach den hervorragend aufgemachten Informationstafeln zu den Weltmeeren, kann man Aquarien mit typischen Tier- und Pflanzenarten aus einem speziellen Gebiet der Nord-. und Ostsee bewundern. Besonders angetan hat es mir der Helgoland-"Unterwassertunnel" und das riesige Panoramabecken für Fischschwärme. Den perfekten Abschluss des Rundgangs bildet die Ausstellung "1:1 - Riesen der Meere", die in Zusammenarbeit mit Greenpeace entwickelt wurde. Hier kann man riesige Meeresbewohner wie etwa den Blauwal in Lebensgröße an der Decke hängen sehen. Einfach unglaublich - man macht sich keine Vorstellung wie groß so ein 35 Meter-Tier wirklich ist, bevor man den hier gesehen hat (oder eben man hat schonmal einen "echten" gesichtet). Kurz: Man geht hier mit vielen gewonnenen Erkenntnissen aus der Ausstellung und sieht die Meereswelt auf jeden Fall mit etwas anderen Augen. Also: auch mal hinfahren!

    So, es ist ein wirklich langer Text geworden, also Danke für das Lesen bis hierher! Morgen geht es wieder in Richtung Heimat, auch wenn da noch ein kleiner Zwischenstopp eingeplant ist.

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